COMM UNI CAT ION Berlin - Havanna

Mittwoch, 7. Juli 2010

Rochade – urban switch

Katrin Günther, http://www.katrin-guenther.de/
Konstanze Noack, Studio USE – http://www.urban-space-exploration.de/
Joseph Rustom

Rochade – urban switch

Das Spezifische einer Stadt ist ihr öffentlicher Raum. In ihm vermittelt ‚Stadt’ zwischen der Sphäre des Privaten und der des Gesellschaftlichen. Er ist der Raum der Begegnung, des Austauschs, der Kommunikation, der Repräsentation, der Äußerung und der vielfältigen Lebensweisen mit- und nebeneinander. Der gebaute Raum der Stadt spiegelt in seiner wechselseitigen Bedingtheit von physisch-materiellem, abstrakt-gesellschaftlichem und konkret-sozialem Raum das gesellschaftliche Selbstverständnis einer jeden Zeit wider. Letztendlich ist er e i n Raum des Alltags, in dem wir diese verschiedenen Räume erleben, benutzen, interpretieren und uns aneignen. In ihm überlagern und überschneiden sich die bunten Fäden der intentionalen Bewegung der Menschen mit ihren unterschiedlichen Lebensweisen und Assoziationen. Stadt ist sowohl Form als auch Raum, die miteinander korrelieren. Der öffentliche Raum wird geprägt durch seine Geschichte, bestimmte Nutzungen, Thematisierungen und Problematiken. Die Geschichte einer Stadt ist stets die Geschichte einer gesellschaftlichen Ordnung, deren Machtverhältnisse und Präferenzen sich im Raum widerspiegeln. Die Zeit ändert sich und mit ihr das gesellschaftliche Selbstverständnis. Doch eine Stadtgesellschaft ist nicht homogen, im Gegenteil, Urbanität ist „eine kulturelle Qualität, die aus der ethnischen, sozialen und politischen Heterogenität, aus den Spannungen zwischen unterschiedlichen Klassenlagen, Lebensformen und Interessenorientierungen, Wünschen und Begierden zugleich produktive Unruhe und gelassene Toleranz entstehen lässt (Werner Durth). In einer Stadt überlagern und verweben sich die historischen Schichten zu e i n e r Stadtmorphologie. Gebäude und Räume verändern ihre Bedeutung und werden überlagert von einem neuen Alltag. Dennoch transportieren sie in ihrer formalen Ausdruckskraft eine bestimmte Semantik und lassen die Geschichte durchschimmern. Ihre Gegenwart trägt ihre Vergangenheit in sich und impliziert die Zukunft.

Rochade


In dem Projekt „Rochade – urban switch“ haben wir die Momente, die den öffentlichen Raum in der heutigen Zeit in Berlin bestimmen thematisiert, indem wir konstituierende Gebäude in einem vollkommen anders auratisierten Raum kontextualisiert haben. Wie bei der Rochade des Schachspiels haben wir den „Turm und den König“ getauscht, wodurch erstaunliche neue räumliche Wirkungen entstanden sind, die die unterschiedlichen Bedeutungsebenen des öffentlichen Raums, seine äußere und innere Identität, die konfligierenden Interessen sozialer, politischer und ökonomischer Akteure, sichtbar machen.

Berlin war Jahrzehnte lang eine geteilte Stadt, deren Westteil durch verkehrsgerechte Planung geprägt ist. Auch der Breitscheidplatz, das Herz des Westteils, wurde dementsprechend umgebaut. Das Rote Rathaus im Osten der Stadt beherbergt nun wieder den Berliner Senat. Seinen Namen bekam es aufgrund seiner roten Klinkerfassade und nicht, wie man vermuten könnte, aufgrund einer programmatischen Konnotation. Was wäre, wenn man das Rote Rathaus gegenüber der Friedrich-Wilhelm-Gedächtniskirche auf den Breitscheidplatz, dem Symbol des Westberliner Nachkriegsaufbaus mit seiner Flanier- und Shoppingmeile des Ku`damms platzieren würde?


 Ernst Reuter Platz

 
Auch der Ernst-Reuter-Platz ist von der verkehrsgerechten Nachkriegsplanung geprägt. Was wäre, wenn man den Tempel der Kultur - im doppeldeutigen Sinne -, die Alte Nationalgalerie, von dem Weltkulturensemble der Museumsinsel auf die überdimensionale Verkehrsinsel versetzen würde?

Schlossplatz

 
Die Wiederaufbaupläne für das zu Zeiten des geteilten Berlin gesprengten Schlosses sind Gegenstand der bundesweit geführten Debatte „Identität durch Geschichte“.

Wir lassen an diesem historisch aufgeladenen Ort das in den Siebziger Jahren unter dem Motto „Urbanität durch Dichte“ über eine Autobahnzufahrt errichtete Internationale Congress Centrum den Raum bestimmen.


Hackescher Markt

 
Berlin hat nicht nur eine preußische, auch eine nationalsozialistische Geschichte, die ihre Spuren hinterlassen hat. Sie würde präsent mit der Rückplatzierung der Siegessäule vor den Reichstag - dem Sitz des Deutschen Bundestages - die die Nationalsozialisten im Rahmen ihrer megalomanen Stadtvision versetzt hatten. Die Plazierung des „Denkmals der ermordeten Juden“ in einen Ort des Tourismus par excellence, den Hackeschen Markt, konfrontiert das Thema des Gedenkens mit dem des Stadtmarketing.

Die bauliche Zusammenführung der Stadt wird durch den Wiederaufbau des Potsdamer und Leipziger Platzes verkörpert. Hier repräsentieren sich große Firmen und Kanzleien, die sich die Mieten leisten können, touristische Attraktionen und Shopping im großen Maßstab. Als Berliner frequentiert man diese neue Mitte allenfalls zur Zeit der Berlinale, des Internationalen Filmfestivals, weshalb wir kurzerhand das noch in den 80er Jahren aufgestellte Marx-Engels Denkmal dorthin transferiert haben.

Symbolisch wird Ost und West mit der städtebaulichen Spange des Regierungsbandes verknüpft, doch das in seiner Mitte vorgesehene Bürgerforum ist nie realisiert worden. Dort, wo die politische Öffentlichkeit eine Plattform haben sollte, haben wir das Spreebad, stellvertretend für das neue kreative Berlin, implementiert. Wo und wie artikuliert sich politische Öffentlichkeit und Kreativität? Kann man ihr überhaupt einen spezifischen Ort zuweisen? Doch auch Kreativität, die sich eigentlich durch ihre Nicht-Vereinnehmbarkeit auszeichnet, wird in Berlin zum Vermarktungsfaktor. Dieses Janusgesicht der Stadtentwicklung, die Aufwertung von unentwickelten Stadtquartieren durch das kreative Milieu führt in der Regel zu soziale Spannungen produzierenden Gentrifizierungsprozessen. Diese entstehen zudem durch freiwillige und unfreiwillige Segregation, auf die Spitze getrieben durch „gated communities“ und die Debatte um das angemessene Maß der Anpassung von anderen Kulturen in der Stadt. Wir haben kurzerhand den Tiergarten, den großen Park der Berliner Bevölkerung, als Wohnen in exklusiver Lage privatisiert und eine Moschee in den Kreis des Mehringplatzes, einst Ausdruck gemeinschaftlichen Wohnens in der Stadt, positioniert.
Kommunikation wird hier auf dreierlei Weise relevant. Erstens zeigt das Projekt die Notwendigkeit, Stadtproduktion als kommunikativen Prozess zu betrachten und die unterschiedlichen Interessenlagen auszuhandeln, zweitens wird deutlich, wie vielschichtig der Raum der Stadt mit uns kommuniziert und letztendlich, wenn nicht vorrangig, ist der öffentliche Raum Ort des Alltags, der Kommunikation und Artikulation der Bewohner einer Stadt.

Konstanze Noack